Deutsche
Eisenbahn- und Heimatgeschichte
Die Rathenower Umgehungsbahn
Veröffentlicht: (C) 16.03.2014 .........................................................................................................................….……………………………….....…...... Update: 21.02.2021
A
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Blockstelle Bamme (DR)
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E
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Stremme-Ufer östlich
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B
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Abzweig Neufriedrichsdorf Hauptbahn
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F
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Halbinsel zwischen Stremme und Havel
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C
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Abzweig Neufriedrichsdorf Nebenbahn
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G
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Havel-Ufer westlich
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D
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Abzweig Rathenow-Nord
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H
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Blockstelle Rathenow-West (DR)
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Die einzelnen Teilabschnitte
A - B
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(0,8 Km)
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Hauptbahn Wustermark-Rathenow-Stendal: Blockstelle Bamme - Abzw. Neufriedrichsdorf
Hauptbahn.
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B - C
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0,7 Km
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Militär-Verbindungsgleis zwischen der Haupt- und Nebenbahn Rathenow-Neustadt (Dosse),
abgebaut.
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C - D
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3,9 Km
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DR-Nebenbahn Rathenow - Neustadt (Dosse). Strecke stillgelegt, Gleis liegt noch bei
Rathenow-Ost.
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D - E
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1,5 Km
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Militär-Gleis zur Stremme, liegt noch.
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F
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0,7 Km
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Militär-Gleis zwischen Stremme und Havel, liegt noch. Durch Hochwasser teilweise
weggespült.
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G - H
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6,5 Km
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Militär-Bahndamm ohne Gleis, deutlich erkennbar.
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Die Entstehungsgeschichte
Anfang der 1970er-Jahre beschloss der Nationale Verteidigungsrat der DDR für den Fall, dass der "Kalte Krieg" zu einem "Heißen" werden sollte, die Anlage von besonderen Eisenbahnverbindungen zur Sicherstellung des taktischen Nachschubs für die „Nationale Volksarmee“ (NVA) und die sowjetische Truppen auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
Diese Verbindungen waren in Friedenszeiten kaum als solche zu erkennen; sie wirkten eher wie Anschlußgleise ins Nirgendwo. Die Bevölkerung nahm sie zwar wahr, man wunderte sich vielleicht darüber, aber kaum jemand dachte ernsthaft über deren eigentliche Bestimmung nach. Hinzu kam der Umstand, dass über derartige Bauprojekte in den DDR-Medien prinzipiell nicht berichtet wurde.
Zur Umsetzung der Beschlüsse des Verteidigungsrates wurde im Verteidigungsministerium der DDR, Abteilung "Militärisches Transportwesen" die Unterabteilung 4B geschaffen, die sich ausschließlich mit der Projektierung und dem Bau militärischer Umgehungsbahnen befasste.
Der Gedanke dahinter war, dass bei einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen NATO und Warschauer Pakt, einige hochgradig gefährdete Eisenbahn-Flußübergänge schon im Vorfeld des Konfliktes durch Umleitungsstrecken ergänzt werden sollten. Die Umsetzung bedurfte einer sorgfältigen, und vor allem, unauffälligen Vorbereitung. In wie fern diese Flußüberquerungen im Ernstfall wirklich zustande gekommen wären, läßt sich kaum beurteilen.
Zwei derartige Projekte sind dem Autor bekannt:
Ein Übergang südlich von Strehla über die Elbe zur Entlastung der Eisenbahnbrücke Riesa und die Havel-Überquerung nördlich der Stadt Rathenow. Das es DDR-weit noch andere gab, ist nicht auszuschließen.
Das Besondere daran waren in Friedenszeiten die "unsichtbaren Brücken" über die Flüsse. Wäre es zu einem Konflikt gekommen, hätten NVA-Pioniere in kurzer Zeit aus vorbereiteten Depos Schwimmpontons und vormontierte Gleisjoche herangeschafft und verlegt. Diese Depos waren dezentral angelegt, befanden sich in bewaldeten Gebieten und max. 50 Kilometer vom Einsatzort entfernt. Das für die Übergangsstelle Rathenow vorgesehene Depot befand sich auf dem Schießplatz Klietz.
Die Gesamtlänge der Umgehungsbahn einschließlich DR-Anteil (Neufriedrichsdorf - Rathenow-Nord) betrug 14,66 km, die Länge auf eigenem (militärischem) Gleiskörper 10,76 km, die Spurweite 1.435 mm.
Die Bauarbeiten an der Umgehungsbahn begannen im Jahr 1974 und waren 1975 abgeschlossen. Die Materialbereitstellung, betriebliche Ausstattung und Aufsicht über die Bauausführung oblag der Reichsbahndirektion Berlin in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Abt. 4B (Militärisches Transportwesen). Den Bau des Bahndamms und die Gleisverlegung erledigten NVA-Pionier zusammen mit Soldaten der „Spatenkompanie“. Der Anschluß bei Neufriedrichsdorf (bei den Einheimischen auch "Piependorf" genannt), wurde erst 1978 fertiggestellt.
Die Stelle über die Havel war gut gewählt worden. Der Göttliner „Eichberg“ bot ausgezeichnete Deckung für die Etablierung von Raketenstellungen des Typs S-75 „Dwina“, eine wichtige Voraussetzung, um die Ponton-Eisenbahnbrücke vor Luftangriffen zu schützen. Die Ortungs- und Startanlagen der Flugabwehrraketen hätten ihren Platz getarnt an den Bergflanken gefunden. Nicht zu vergessen, der nur einige Kilometer entfernte Truppenübungsplatz von Klietz, der als Sammelraum dienen sollte und eine hohe Waffenkonzentration bedeutet hätte. Seit vielen Jahren betrieben NVA und Sowjetarmee unterhalb des „Eichberges“ eine Furtstelle, in der sie das Über- bzw. Durchqueren der Havel mittels Fluß-Pontons und Luft-Schnorcheln auf den Panzern übten.
Die Landbeschaffung für die Anlage einer Eisenbahnstrecke geschah in der DDR üblicherweise auf dem Verordnungsweg. Mit Nachdruck jedoch, wenn es um die Interessen der Landesverteidigung ging. So geschehen in der Flur Göttlin, wo die dortige „Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaft“ (LPG) Ackerland und Weiden für den NVA-Gleiskörper abtreten musste. Die Feldflächen wurden durch den Bahndamm geteilt, was auf keine besondere Gegenliebe beim Göttliner LPG-Vorsitzenden stieß. Hinzu kam, das der Bahndamm ohne Schienen blieb, aber durch Landmaschinen und Tiere nicht beschädigt werden durfte. Außerdem war er auf Kosten der LPG von Baumbewuchs frei zu halten.
Die Streckenführung
Die Umgehungsbahn beginnt östlich der Stadt Rathenow, genauer betrachtet nicht erst am „Abzweig Neufriedrichsdorf Hauptbahn“, sondern in der Blockstelle „Bamme“ mitten im Rathenower Forst. Die Betriebsstelle hatte keinerlei Bedeutung für den Reiseverkehr, sondern diente bei Bedarf ausschließlich der Kreuzung von Zügen.
Bild links:
Die Blockstelle „Bamme“ im Rathenower Stadtforst im Februar 1991. Durch den Bau der ICE-Strecke Berlin-Hannover ist sie vollständig verschwunden.
Bild unten:
Die Betriebsstelle war recht einfach.
Ein Haupt- und ein Nebengleis, sechs Formsignale, davon waren vier Deckungs- und zwei als Einfahrsignale.
Blockstelle B1 „Bamme“
Bei einer Gefährdung oder Zerstörung der Havel-Hauptbrücke südlich von Rathenow oder des Hauptbahnhofs wären von hier sämtliche Züge über die Umgehungsbahn abgelassen bzw. angenommen worden. Die Station ist 1995 durch den Bau der Schnellbahn Berlin - Hannover unter der neuen Trasse verschwunden.
Abzweig Neufriedrichsdorf Hauptbahn
DR-Lok 03 2205-7 vor Eilzug Berlin Ostbf.-Rathenow-Stendal-Oebisfelde passiert soeben die Stelle, an der der „Abzweig Neufriedrichsdorf Hauptbahn“ im Ernstfall gelegen hätte. Im Hintergrund die alte Brücke der Bammer Landstraße, fotografiert aus Richtung „Abzweig Neufriedrichsdorf Nebenbahn“ (Juni 1975).
Abzweig
Neufriedrichsdorf
Blick von Norden auf den ehemaligen „Abzweig Neufriedrichsdorf Nebenbahn“ im
Mai 1996. Die Weiche wurde 1991 ausgebaut.
Das Gleis mit der Rechtskurve führt zum Hbf. Rathenow. Es gehörte zur Nebenbahn Rathenow - Neustadt (Dosse). Das linke Gleis war die Umgehungsbahn und das Verbindungsgleis in Richtung der Hauptbahn. Es hatte eine Länge von ca. 200 Meter und endet an einem Prellbock. Im Kriegsfall wäre es bis zum „Abzweig Neufriedrichsdorf Hauptbahn“ verlängert worden (s. Bild oben).
Stremme-Ufer östlich
und
Halbinsel
Stremme-Ufer östlich, geradeaus ein Abstellgleis, etwa 200 Meter lang. Die Umgehungsbahn zweigt nach links zur Übersetzstelle an der Stremme ab (Bild unten).
Blick vom westlichen Ufer über die Havel hinweg zur „Halbinsel“. Der Pfeil zeigt auf den Gleiskörper.
Dort, wo sich der Untergrund für die neue ICE-Trasse befindet, lag bis 1995 die „Blockstelle Rathenow-West“. In dieser Station wurde die Umgehungsbahn wieder in die Hauptbahn Wustermark - Stendal eingebunden.
Im Rücken des Fotografen stand am damaligen Bahnübergang der Landstraße Rathenow - Bützer das Blockstellwerk, von dem aus die Schranken, Weichen und Signale dieser Blockstelle betätigt wurden.
Es glich dem Stellwerk W2 am Bahnübergang Rathenow Viertellandweg/Puschkinstraße. Die Aufnahme stammt vom Dezember 1990. Weder der BÜ noch die über 100 Jahre alten Stellwerke haben den Wechsel in das ICE-Zeitalter geschafft. Sie wurden 1995/96 abgerissen. Generationen von Eisenbahnern haben hier ihren Dienst verrichtet.
Blick von Süden nach
Göttlin mit dem Eichberg.
Im Vordergrund der Bahndamm der Umgehungsbahn, den sich die Natur langsam zurück
erobert (6/1996).
Blick aus Richtung Süden auf den
„Abzweig Rathenow-Nord“.
Geradeaus führt die DR-Strecke über Rhinow nach Neustadt (Dosse). Das Gleis der Umgehungsbahn
zweigt im weitem Bogen in Richtung Stremme und Havel vom Hauptgleis ab; es ist 1975
gerade fertiggestellt worden. Einige Utensilien sind von den Erbauern „vergessen“
worden.
ENDSTATION ?
Nein, auf der anderen Seite der Stremme geht es weiter über die Halbinsel in Richtung
Havel.
Das ist der „letzte Prellbock“ der Umgehungsbahn auf der östlichen Flußseite. Im
Ernstfall wäre er entfernt und die Strecke mittels einer Klappbrücke über die Stremme
bzw. Schwimmpontons über die Havel weitergeführt worden.
Im Hintergrund der Göttliner Eichberg, der im Verteidigungfall eine wichtige Rolle
bei der Sicherung dieses Übergangs gespielt hätte.
Die vorgesehene Verbindung zwischen dem „Abzweig Neufriedrichsdorf Hauptbahn“ und „Abzweig Neufriedrichsdorf Nebenbahn“. Der obere Anschluß an die Städtebahn einschließlich Weiche war fertig, der untere Teil zur Hauptbahn wäre durch die Eisenbahnpioniere hergestellt worden.
Die „Blockstelle Rathenow-West“ mit dem vorbereiteten Bahndamm zur Havel. Hier endete die Rathenower Umgehungsbahn.
Die selbe Stelle fast 40 Jahre später im März 2014. Die Bahnstrecke nach Neustadt
(Dosse) ist inzwischen stillgelegt und teilweise abgebrochen. Die Schienen wurden
schon „versilbert“, die Schwellen blieben liegen. Die Weiche wurde entfernt, aber
das Gleis zur Havel liegt noch.
Die 2. Eisenbahnbrücke über die Havel (1927-2008), im Kriegsfall ein Ziel für Flieger-
bzw. Raketenangriffe und Grund für die Anlage der Rathenower Umgehungsbahn. Foto:
R. Taege 4/1984
Zwischen Havel und Stremme
Zwischen Havel und Blockstelle Rathenow-West
Das Gebiet zwischen Havel und Stremme ist eine Art Halbinsel, die nur über Umwege zu erreichen ist. Bis 1995 über die Stremme-Brücke an der Rhinower Landstraße (inzwischen abgerissen) oder vom alten Schlachthof her. Da es es heute als Naturschutzgebiet ausgewiesen wird, ist ein Betreten mit starken Einschränkungen verbunden. Das Gleis ist zugewachsen, aber noch deutlich erkennbar.
Zwischen Städtebahn und Stremme
Das Streckenabschnitt auf der „Halbinsel“ zwischen Havel und Stremme (gestrichelt)
Das Mittelgleis endet im Vordergrund an der Stremme. Am anderen Ufer liegt das östliche Teilstück der Strecke.
Das verbliebene Gleis, Blickrichtung von
West nach Ost.
Noch einmal die 2. Havel-Eisenbahnbrücke, diesmal aus der entgegengesetzten Richtung
von Norden her gesehen. Fotomontage: R. Taege, August 1967